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Christina Kottnig, Vorsitzende von Slow Food Österreich im Gespräch mit der Ölmühle Fandler
Wer ist Christina Kottnig und warum Slow Food?

 

Nach meinem Schulabschluss am Gymnasium in Kremsmünster habe ich Jus und Wirtschaft studiert. Nach dem Studium habe ich dann einige Zeit in Deutschland verbracht, um meine Kenntnisse im Bereich des Lebensmittelrechts zu vertiefen. Dabei hatte ich die Gelegenheit, an einem spannenden Kochworkshop teilzunehmen, bei dem ich zum ersten Mal mit Slow Food in Kontakt kam. Die deutsche Slow Food Bewegung ist ja besonders bei jungen Menschen sehr aktiv.

Zurück in Österreich, war ich enttäuscht darüber, wie wenig Präsenz Slow Food hier hatte. Durch Zufall lernte ich Daniela Wiebogen kennen, die während ihrer Studienzeit auch für Slow Food aktiv war. Gemeinsam beschlossen wir, nach Kärnten zu fahren, weil Slow Food dort 2019 gefühlt am aktivsten war. Slow Food wurde und wird dort sowohl vom Tourismus als auch von der Landesregierung stark gefördert. Beeindruckt vom Engagement und von der Vielfalt an Produzent:innen, Gastronom:innen und Lebensmittelhandwerker:innen beschlossen wir, Slow Food frischen Wind einzuhauchen.

Für uns war schnell klar, dass es eine österreichweite Dachorganisation brauchen würde, um die regionalen Initiativen zusammenzubringen. Slow Food ist ja in Österreich bereits seit 20 Jahren in lokalen Vereinen und Gruppen aktiv. Doch um wirklich etwas zu bewegen, mussten wir sie allen zusammenbringen und ihnen eine starke Stimme geben. So haben wir im Juni 2020 eine gemeinsame Dachorganisation gegründet. Viele Convivien und Gemeinschaften haben uns schon bei der Gründung unterstützt, mittlerweile sind beinahe alle an Bord.


christina kottnig by mara hohla

Woher kommt deine Leidenschaft für Lebensmittel?

Ich würde sagen, dass mir die Liebe zur Bio-Landwirtschaft und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit praktisch in die Wiege gelegt wurden. Meine Mama hat in den 90er Jahren den österreichischen Bio-Bauernverband, der heute als Bio Austria bekannt ist, geleitet. Und mein Papa ist seit fast 30 Jahren bei der Grünen Erde tätig. Lebensmittel und Nachhaltigkeit waren bei uns zu Hause also immer allgegenwärtig und haben mich natürlich stark geprägt.

Was machst du aktuell?

Seit rund einem Jahr arbeite ich für die Bio-Bäckerei brotsüchtig, eine kleine Handwerksbäckerei mit 4 Filialen und 45 Mitarbeiter:innen in Oberösterreich. Ich leite dort den Verkauf, aber arbeite aber auch in anderen Bereichen wie Marketing, Einkauf und Produktentwicklung mit. Gerade die vielfältigen Aufgabenbereiche in kleinstrukturierten Betrieben wie unserem finde ich besonders spannend. In meiner Freizeit engagiere ich mich ehrenamtlich für Slow Food und bin seit 2020 Vorsitzende von Slow Food Österreich.

Was zeichnet dich aus? Was sind deine Stärken?

Sowohl in meinem Beruf als Verkaufsleiterin als auch als Vorsitzende von Slow Food kann ich meine Netzwerkfähigkeiten optimal einsetzen. Ich glaube, dass mein Talent für vernetztes Denken eine meiner größten Stärken ist. Es macht mir echt Spaß, Gastronom:innen, Produzent:innen und Betriebe zusammenzubringen, und meine Stärke in einem so wichtigen Bereich wie unserem Lebensmittelsystem ausleben zu können.

Ich denke, dass auch meine Rastlosigkeit ein wichtiger Teil meiner Persönlichkeit ist. Ich habe zum Glück viel Energie und Leidenschaft, die es mir ermöglicht, parallel zu meiner beruflichen Tätigkeit als Verkaufsleiterin auch eine so große ehrenamtliche Aufgabe wie den Vorsitz von Slow Food Österreich übernehmen zu können.

Gut, sauber, fair – und im Einklang mit der Natur
Mission Statement: Als Slow Food Österreich holen wir großartige Lebensmittelproduzent* innen vor den Vorhang, wir vernetzen Lebensmittelhandwerker*innen und Konsument*innen und wollen bei noch mehr Menschen ein Interesse dafür wecken, was in und hinter unseren Lebensmitteln steckt. Wir sehen es auch als unsere Mission, als starke politische Stimme auf die Fehler, Widersprüche und Schwachstellen des Systems aufmerksam zu machen – und alternative Möglichkeiten aufzuzeigen. Denn nachhaltige Veränderung braucht auch die richtigen politischen Weichenstellungen.
slow food by mara hohla
"Unser Hauptziel war und ist es, Slow Food in Österreich eine starke und einheitliche Stimme zu geben."
slow food by mara hohla
Wie baut ihr euer Netzwerk auf und was habt ihr euch zum Ziel genommen?

 

Unser Hauptziel war und ist es, Slow Food in Österreich eine starke und einheitliche Stimme zu geben. Wir wollten das bestehende Netzwerk ausbauen und fördern, um eine größere Reichweite und Wirkung zu erzielen.

Unser erster Schritt bestand darin, alle Slow Food Produzent:innen und Akteur:innen in ganz Österreich einzubeziehen. Wir haben zahlreiche Produzent:innen, Gastronom:innen und Greißler:innen besucht und mittlerweile dadurch beeindruckende 120 Produzent:innen-Porträts auf unserer neuen Website zugänglich gemacht.

Gemeinsam mit den lokalen Convivien, Gemeinschaften und Produzent:innen haben wir zudem letztes Jahr die drei zentralen Kriterien von Slow Food, nämlich gut, sauber und fair, konkretisiert. Das Ergebnis ist ein Regelwerk, das als Orientierung dient und deutlich macht, was eine:n landwirtschaftliche:n Slow Food Produzent:innen auszeichnet. Damit haben wir eine solide Grundlage geschaffen und arbeiten nun Schritt für Schritt daran, auch Verarbeiter:innen, Greisslereien, Gastronom:innen und weitere Akteur:innen unseres Lebensmittelsystems einzubeziehen. Dabei legen wir großen Wert auf eine enge Zusammenarbeit und einen Know-How-Austausch unseren Partner:innen, denn sie leben diese Dinge ja in der Praxis. Von oben herab Vorgaben zu machen, macht für uns keinen Sinn. Wir wollen wissen, was praxistauglich und umsetzbar ist und was nicht.

Durch unser klares Regelwerk ist es für Produzent:innen jetzt sehr viel einfacher, Teil der Slow Food Bewegung zu werden, weil sie schnell herausfinden können, ob sie unsere Kriterien für gute, saubere und faire Lebensmittel erfüllen. Dadurch wird die Teilnahme an Slow Food unkomplizierter und die Bewegung insgesamt zugänglicher.

Wir möchten damit ein Bewusstsein dafür schaffen, welche Art der Landwirtschaft wirklich zukunftsfähig und klimafit ist. Wir möchten verdeutlichen, warum es wichtig ist, kleinstrukturierte Landwirtschaft zu erhalten und alte Sorten zu bewahren.

Uns ist natürlich auch die Zusammenarbeit wichtig, sowohl mit anderen Organisationen als auch mit allen Slow Food Akteur:innen. Wichtige Netzwerk-Partner:innen sind etwa die Bio Austria oder die Arche Austria. Wir tauschen Wissen und Know-How aus, bauen auf die Expertise und Erfahrung derer, die in den vielen Spezialdisziplinen unserer Ernährungs- und Esskultur Tag für Tag arbeiten. Und wir vernetzen Slow Food Akteur:innen in allen Bereichen: von der Landwirtschaft über die Verarbeitung bis hin zu Hotellerie und Bildung. Denn sie alle leisten einen wichtigen Beitrag für eine nachhaltige Ernährungs- und Esskultur in Österreich.


Nachhaltige Veränderung ist eine Botschaft aus dem Mission Statement von Slow Food. Wie definierst du persönlich den Begriff „Nachhaltigkeit"?

Nachhaltigkeit ist ein breiter Begriff, der viele Bereiche betrifft, nicht nur den Lebensmittelsektor. Für mich persönlich und speziell im Zusammenhang mit Lebensmitteln bedeutet Nachhaltigkeit vor allem biologische Landwirtschaft und achtsamer Genuss. Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist auch die Lebensmittelverschwendung. Wir können nicht leugnen, dass in privaten Haushalten oft zu viele Lebensmittel verschwendet werden oder durch Überproduktion im Handel einfach unglaublich viele Lebensmittel im Müll landen, noch bevor sie je in einem Einkaufskorb waren. Wir sollten uns fragen: Brauchen wir wirklich zehn verschiedene Varianten von allem? Dieser Überfluss und die Massenproduktion sind meiner Meinung nach einfach zu viel, um nachhaltig wirtschaften zu können. Mehr Achtsamkeit sollte sich auf alle Lebensbereiche erstrecken – Mode, Garten, Kosmetik, Baubranche und so weiter.

Ich finde es auch besonders wichtig, dass jede:r irgendwo anfängt. Wenn eine Person beispielsweise beim Thema Lebensmittel auf Nachhaltigkeit achtet, eine andere sich auf nachhaltige Mode konzentriert und so weiter, dann bewegen wir uns alle in die richtige Richtung. Es geht darum, bewusste Entscheidungen zu treffen und kleine Schritte zu unternehmen, die zu einer nachhaltigeren Lebensweise führen. Jeder einzelne Beitrag zählt und gemeinsam können wir wirklich einen Unterschied machen, davon bin ich überzeugt.


Wir sollten also weg von „2 für 1, obwohl ich nur ½ brauche.“

Definitiv! Das ist genau das, was wir bei Slow Food vermitteln und unterstützen möchten. Wir möchten die Menschen über handwerkliche Produktion informieren und ihnen zeigen, welchen Aufwand es braucht, um hochwertige Lebensmittel herzustellen. Der Wert der Arbeit soll sich im Endprodukt widerspiegeln, sei es bei den Produzent:innen, die einen fairen Preis für ihre Produkte bezahlt bekommen, als auch bei den Konsument:innen, die im Gegenzug geschmackvolle, ökologisch produzierte Lebensmittel bekommen und das zu schätzen wissen.


Welchen Beitrag zur Nachhaltigkeit können Konsument*innen leisten?

Jeder und jede von uns kann einen individuellen Beitrag leisten. Es ist wichtig, dass wir uns bewusst machen, dass jede Kaufentscheidung direkte Auswirkungen auf uns persönlich und unseren Körper hat. Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, welche Lebensmittel wir essen, welche Kosmetik wir auf unsere Haut auftragen und welche Kleidung wir tragen. Wir haben nämlich die Macht, durch bewusste Entscheidungen positive Veränderungen zu bewirken – für uns selbst, unsere Gesundheit, aber auch für unser Klima und unsere Gesellschaft.


Wann lernen Kinder und junge Menschen die Bedeutung von Begriffen wie Nachhaltigkeit und Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln und handwerklicher Produktion oder sollten es tun?

slow food by martin hoffmann

Das Thema Schulbildung ist ein zentraler Bestandteil unserer Projekte bei Slow Food. Wir möchten erreichen, dass Köch:innen gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen in Schulen kochen. Es gibt bereits erste Kooperationen mit höheren Schulen in diese Richtung. Unser Konzept erstreckt sich über zwei Jahre und umfasst das gesamte Schuljahr. Es beinhaltet Vorträge von Produzent:innen, die in die Schulen kommen, gemeinsames Kochen mit Gastronom:innen, Exkursionen zu handwerklichen Betrieben, wo beispielsweise Brot gebacken wird, und Projekte, in denen sich die Schüler:innen selbst mit dem Thema Lebensmittel auseinandersetzen können.

Wir möchten im Bildungsbereich eine breite Präsenz haben, weil es für unser Lebensmittelsystem von großer Bedeutung ist, bei jungen Menschen anzusetzen. Wir merken ja auch, dass das Interesse junger Menschen an nachhaltigen Themen stetig wächst – nicht nur bei uns, sondern auch international.

Auch Slow Food verändert sich – von einer eher genussgeprägten Ausrichtung verändern wir uns hin zu einer aktivistischeren und politischeren Bewegung. Wir erkennen einfach immer stärker, dass unser Ernährungsverhalten einen enormen Einfluss auf unser Klima hat, und gerade jungen Menschen liegt es am Herzen, sich für eine nachhaltigere Bewegung einzusetzen.

Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir uns in Richtung einer nachhaltigeren Landwirtschaft und eines nachhaltigeren Konsums bewegen.
Vision – Lebensmittelversorgung 2033: Wenn du 5 oder 10 Jahre in die Zukunft blickst, wo wird Slow Food stehen? Wohin werden wir uns versorgungstechnisch hinbewegen? Welche Hürden siehst du auf uns zukommen?

 

Mein persönlicher Wunsch für die Zukunft ist es, dass der achtsame Konsum von Lebensmitteln an oberster Stelle steht. Ich bin fest davon überzeugt, dass das die Lösung für viele Herausforderungen ist. Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir uns in Richtung einer nachhaltigeren Landwirtschaft und eines nachhaltigeren Konsums bewegen.

Ich hoffe, dass Slow Food bis 2033 weiterhin stark wächst und wir zu einer wichtigen Stimme, einem starken Netzwerk innerhalb der österreichischen Ernährungs- und Esskultur werden. Dafür ist es wichtig, dass Themen wie der Anbau alter Sorten, handwerkliche Produktion, gute, saubere und faire Lebensmittel in der Gastronomie und Hotellerie, aber auch Lebensmittel-Bildung in der Schule nahtlos ineinandergreifen, um das gesamte System breit aufzustellen.

Im Tourismus-Bereich möchten wir Slow Food Betriebe erlebbar machen – das vermittelt Wissen nochmal auf eine ganz andere Art und Weise. In Zusammenarbeit mit der Bio Austria und Urlaub am Bauernhof entwickeln wir derzeit Slow Food Erlebnisse, die einen Blick hinter die Kulissen gewähren. Unser Ziel ist es, einen breiten Zugang zum Wissen über Lebensmittel zu ermöglichen und Einblicke zu geben. Es ist uns wichtig, nicht nur Slow Food Betriebe aufzulisten, sondern auch die Menschen und Geschichten dahinter sichtbar zu machen.

Indem wir Slow Food erlebbar machen und die Vielfalt der Produzent:innen und ihre Leidenschaft für qualitativ hochwertige Lebensmittel vermitteln, können wir das Bewusstsein für eine nachhaltige Ernährung stärken und die Menschen ermutigen, bewusste Entscheidungen zu treffen. Gemeinsam können wir eine positive Veränderung für uns, unsere Lebensmittel und unser Klima bewirken.

 

Bildmaterial: Slow Food Österreich; © Mara Hohla bzw. © Martin Hoffmann