Nach meinem Schulabschluss am Gymnasium in Kremsmünster habe ich Jus und Wirtschaft studiert. Nach dem Studium habe ich dann einige Zeit in Deutschland verbracht, um meine Kenntnisse im Bereich des Lebensmittelrechts zu vertiefen. Dabei hatte ich die Gelegenheit, an einem spannenden Kochworkshop teilzunehmen, bei dem ich zum ersten Mal mit Slow Food in Kontakt kam. Die deutsche Slow Food Bewegung ist ja besonders bei jungen Menschen sehr aktiv.
Zurück in Österreich, war ich enttäuscht darüber, wie wenig Präsenz Slow Food hier hatte. Durch Zufall lernte ich Daniela Wiebogen kennen, die während ihrer Studienzeit auch für Slow Food aktiv war. Gemeinsam beschlossen wir, nach Kärnten zu fahren, weil Slow Food dort 2019 gefühlt am aktivsten war. Slow Food wurde und wird dort sowohl vom Tourismus als auch von der Landesregierung stark gefördert. Beeindruckt vom Engagement und von der Vielfalt an Produzent:innen, Gastronom:innen und Lebensmittelhandwerker:innen beschlossen wir, Slow Food frischen Wind einzuhauchen.
Für uns war schnell klar, dass es eine österreichweite Dachorganisation brauchen würde, um die regionalen Initiativen zusammenzubringen. Slow Food ist ja in Österreich bereits seit 20 Jahren in lokalen Vereinen und Gruppen aktiv. Doch um wirklich etwas zu bewegen, mussten wir sie allen zusammenbringen und ihnen eine starke Stimme geben. So haben wir im Juni 2020 eine gemeinsame Dachorganisation gegründet. Viele Convivien und Gemeinschaften haben uns schon bei der Gründung unterstützt, mittlerweile sind beinahe alle an Bord.
Unser Hauptziel war und ist es, Slow Food in Österreich eine starke und einheitliche Stimme zu geben. Wir wollten das bestehende Netzwerk ausbauen und fördern, um eine größere Reichweite und Wirkung zu erzielen.
Unser erster Schritt bestand darin, alle Slow Food Produzent:innen und Akteur:innen in ganz Österreich einzubeziehen. Wir haben zahlreiche Produzent:innen, Gastronom:innen und Greißler:innen besucht und mittlerweile dadurch beeindruckende 120 Produzent:innen-Porträts auf unserer neuen Website zugänglich gemacht.
Gemeinsam mit den lokalen Convivien, Gemeinschaften und Produzent:innen haben wir zudem letztes Jahr die drei zentralen Kriterien von Slow Food, nämlich gut, sauber und fair, konkretisiert. Das Ergebnis ist ein Regelwerk, das als Orientierung dient und deutlich macht, was eine:n landwirtschaftliche:n Slow Food Produzent:innen auszeichnet. Damit haben wir eine solide Grundlage geschaffen und arbeiten nun Schritt für Schritt daran, auch Verarbeiter:innen, Greisslereien, Gastronom:innen und weitere Akteur:innen unseres Lebensmittelsystems einzubeziehen. Dabei legen wir großen Wert auf eine enge Zusammenarbeit und einen Know-How-Austausch unseren Partner:innen, denn sie leben diese Dinge ja in der Praxis. Von oben herab Vorgaben zu machen, macht für uns keinen Sinn. Wir wollen wissen, was praxistauglich und umsetzbar ist und was nicht.
Durch unser klares Regelwerk ist es für Produzent:innen jetzt sehr viel einfacher, Teil der Slow Food Bewegung zu werden, weil sie schnell herausfinden können, ob sie unsere Kriterien für gute, saubere und faire Lebensmittel erfüllen. Dadurch wird die Teilnahme an Slow Food unkomplizierter und die Bewegung insgesamt zugänglicher.
Wir möchten damit ein Bewusstsein dafür schaffen, welche Art der Landwirtschaft wirklich zukunftsfähig und klimafit ist. Wir möchten verdeutlichen, warum es wichtig ist, kleinstrukturierte Landwirtschaft zu erhalten und alte Sorten zu bewahren.
Uns ist natürlich auch die Zusammenarbeit wichtig, sowohl mit anderen Organisationen als auch mit allen Slow Food Akteur:innen. Wichtige Netzwerk-Partner:innen sind etwa die Bio Austria oder die Arche Austria. Wir tauschen Wissen und Know-How aus, bauen auf die Expertise und Erfahrung derer, die in den vielen Spezialdisziplinen unserer Ernährungs- und Esskultur Tag für Tag arbeiten. Und wir vernetzen Slow Food Akteur:innen in allen Bereichen: von der Landwirtschaft über die Verarbeitung bis hin zu Hotellerie und Bildung. Denn sie alle leisten einen wichtigen Beitrag für eine nachhaltige Ernährungs- und Esskultur in Österreich.
Nachhaltige Veränderung ist eine Botschaft aus dem Mission Statement von Slow Food. Wie definierst du persönlich den Begriff „Nachhaltigkeit"?
Definitiv! Das ist genau das, was wir bei Slow Food vermitteln und unterstützen möchten. Wir möchten die Menschen über handwerkliche Produktion informieren und ihnen zeigen, welchen Aufwand es braucht, um hochwertige Lebensmittel herzustellen. Der Wert der Arbeit soll sich im Endprodukt widerspiegeln, sei es bei den Produzent:innen, die einen fairen Preis für ihre Produkte bezahlt bekommen, als auch bei den Konsument:innen, die im Gegenzug geschmackvolle, ökologisch produzierte Lebensmittel bekommen und das zu schätzen wissen.
Jeder und jede von uns kann einen individuellen Beitrag leisten. Es ist wichtig, dass wir uns bewusst machen, dass jede Kaufentscheidung direkte Auswirkungen auf uns persönlich und unseren Körper hat. Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, welche Lebensmittel wir essen, welche Kosmetik wir auf unsere Haut auftragen und welche Kleidung wir tragen. Wir haben nämlich die Macht, durch bewusste Entscheidungen positive Veränderungen zu bewirken – für uns selbst, unsere Gesundheit, aber auch für unser Klima und unsere Gesellschaft.
Wann lernen Kinder und junge Menschen die Bedeutung von Begriffen wie Nachhaltigkeit und Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln und handwerklicher Produktion oder sollten es tun?
Mein persönlicher Wunsch für die Zukunft ist es, dass der achtsame Konsum von Lebensmitteln an oberster Stelle steht. Ich bin fest davon überzeugt, dass das die Lösung für viele Herausforderungen ist. Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir uns in Richtung einer nachhaltigeren Landwirtschaft und eines nachhaltigeren Konsums bewegen.
Ich hoffe, dass Slow Food bis 2033 weiterhin stark wächst und wir zu einer wichtigen Stimme, einem starken Netzwerk innerhalb der österreichischen Ernährungs- und Esskultur werden. Dafür ist es wichtig, dass Themen wie der Anbau alter Sorten, handwerkliche Produktion, gute, saubere und faire Lebensmittel in der Gastronomie und Hotellerie, aber auch Lebensmittel-Bildung in der Schule nahtlos ineinandergreifen, um das gesamte System breit aufzustellen.
Im Tourismus-Bereich möchten wir Slow Food Betriebe erlebbar machen – das vermittelt Wissen nochmal auf eine ganz andere Art und Weise. In Zusammenarbeit mit der Bio Austria und Urlaub am Bauernhof entwickeln wir derzeit Slow Food Erlebnisse, die einen Blick hinter die Kulissen gewähren. Unser Ziel ist es, einen breiten Zugang zum Wissen über Lebensmittel zu ermöglichen und Einblicke zu geben. Es ist uns wichtig, nicht nur Slow Food Betriebe aufzulisten, sondern auch die Menschen und Geschichten dahinter sichtbar zu machen.
Indem wir Slow Food erlebbar machen und die Vielfalt der Produzent:innen und ihre Leidenschaft für qualitativ hochwertige Lebensmittel vermitteln, können wir das Bewusstsein für eine nachhaltige Ernährung stärken und die Menschen ermutigen, bewusste Entscheidungen zu treffen. Gemeinsam können wir eine positive Veränderung für uns, unsere Lebensmittel und unser Klima bewirken.
Erfahren Sie mehr über Slow Food Produzent*innen in Österreich:
Bildmaterial: Slow Food Österreich; © Mara Hohla bzw. © Martin Hoffmann